Schöne Tage noch! Leseprobe 1

Schöne Tage noch!

Sieben kurze Geschichten von Menschen, deren Leben sich verändert. Manchmal mit großen, manchmal mit kleinen Auswirkungen. Hier ein Ausschnitt.

Schöne Tage noch (Arbeitstitel)

Vielleicht hätte er später heiraten sollen. Oder gar nicht. Vor drei Jahren hatten sie den gemeinsamen Haushalt aufgelöst, knapp nach der silbernen Hochzeit. So nannte man das, wenn man 25 Jahre mehr nebeneinander als miteinander an derselben Adresse gelebt hatte.

Die Scheidung verlief mit den üblichen Streitigkeiten, nicht schlimmer als bei seinen Freunden. Er musste seine Frau mit Hilfe eines Kredits auszahlen. Sie war zu ihrem Freund gezogen, der ein hübsches Haus hatte.

Seine, Egons Freundin, mit der er ein gemeinsames Leben geplant hatte, war allerdings ebenfalls zu ihrem neuen Freund übersiedelt. Von dessen Existenz hatte er zwei Tage vor dem Scheidungstermin erfahren. Danach rutschte er in eine kleine Depression, die er durch übermäßigen Arbeitseinsatz ausglich. Auf diese Weise machte er einen Karrieresprung, der ohne Scheidung sicher nicht stattgefunden hätte. Einsamkeit macht erfolgreich. Darum sind erfolgreiche Menschen so einsam.

In dieser Lebensphase hatte er sich bei einigen Single-Plattformen eingetragen und festgestellt, dass seine während der Ehe erworbenen Fähigkeiten auf große Anerkennung stießen. Vor allem seine Kochkünste eröffneten ihm wunderbare, nie geahnte Welten.

Beim ersten Treffen mit einer unbekannten Frau hatte er eine leichte Bärlauchsuppe vorbereitet. Danach würde es Saibling in Salzkruste geben und als Dessert Panna Cotta. Seine Aufregung dämpfte er mit einem Grappa.

Es klingelte. Er öffnete die Tür, Margit stand vor ihm. Sie war etwas zu früh gekommen und irgendwie war sie ein wenig, nun, wie sollte er es nennen? Nicht ganz so schlank wie auf dem Foto.

Er begrüßte sie freundlich, bemüht, nicht allzu überrascht zu sein. Sie hatte eine Flasche Wein mitgebracht und überreichte sie ihm schüchtern. Er gab ihr die Gästeschlapfen, denn Helmut — er hatte sicherheitshalber einen falschen Namen angegeben und alle Schilder im Haus ausgewechselt — war ein ordentlicher Mann. Sie schlüpfte vorsichtig in die rosafarbenen Schuhe und folgte ihm in die Küche.

Irgendwie, befand Egon, war sie nett. Nach einiger Zeit der Verlegenheit plauderte sie munter drauflos und erzählte von ihrem Ex-Mann. Noch seien sie zwar nicht geschieden, aber das hätte nur mit der Überlastung der Gerichte mit Scheidungsverfahren zu tun. Egon war diesem Thema gegenüber höchst empfindsam und fürchtete bereits, dass Margit auf der Suche nach einem Ersatz war.

Sie erriet seine Gedanken und beschwichtigte ihn sofort. Sie habe genug von Ehe und Zweisamkeit, sie wollte endlich das Leben genießen. 20 Jahre Ehe, die letzten fünf in einer Art sexueller Fastenzeit, reichten ihr. Das war ihr erstes Treffen mit einem fremden Mann und sie hatte nicht vor, es bei diesem einen Mal zu belassen.

Dieser Denkansatz gefiel ihm so sehr, dass sie in seinen Augen bereits einige Kilo abgenommen hatte. Als er die Bärlauchsuppe aufschäumte und sie mit frischem Schnittlauch bestreute, füllten sich Margits Augen mit Tränen.