Scheiß drauf, Alter!

Nein, mir hat kein junger Mann seine Lebensphilosophie erklärt, das ist bloß der Titel des neuen Albums von Bud Spencer. Ja, der lebt noch, hängt mit seinen 80 Jahren vorm Mikrofon rum und singt neapolitanische Lieder.

Auf der Spiegel-Bestsellerliste rangiert der Titel „Altern wie ein Gentleman“ angeblich weit oben. Ein gewisser Sven Kuntze räsoniert ein ganzes Buch lang über sein Leben als betagter Mann und warum er für die Legalisierung von Haschisch ist, zumindest mal in Altersheimen.

Virginia Ironside gelang mit dem Buch „Nein! Ich will keinen Seniorenteller!“ ebenfalls ein Bestseller. Es handelt sich um das Tagebuch der 60-jährigen Marie Sharp, ein scharfes Buch, in dem  alles steht, was die Alten so bewegt. Sogar Sex!

Wohin ich blicke, überall lauert ein alter Mensch, um die Welt zu erklären. Sogar die Revolution, früher ein Metier der Jugend, wird von einem 93-jährigen Franzosen gefordert. „Empört euch!“ heißt das Büchlein von Stéphane Hessel, das gerade tonnenweise gekauft wird. Der Autor selbst ist fassungslos angesichts des Verkaufserfolges.

Was machen eigentlich die Jungen? Kübeln die sich in der westlichen Welt ununterbrochen zu und machen ewig Party aus Verzeiflung über die permanenten Aktivitäten der Seniorenpartie?

Wenn dem so ist, dann habe ich eine gute Nachricht für euch: Die Alten sind gar nicht so, wie sie sich beschreiben. Ich weiß das, ich bin nämlich selbst unter die Senioren gegangen. Und mir wurde sofort klar: Die guten alten Zeiten waren ziemlich übel und die Zukunft ist eine Katastrophe. Das Alter machte Wenige weise und die Meisten mürrisch und die permanenten Versuche, uns Alte in Jungsenioren umzudeuten, die pfeifend Berggipfel erklimmen und fröhlich mit dem Hund um die Wette laufen, gehen mir schwer auf die Nerven.

Genauso wie die Frage:
„Na, wie geht es dir denn jetzt so?“

Früher lautete sie schlicht: „Wie geht es dir?“ Nun aber: „Wie geht es dir denn JETZT SO?“

JETZT wird dabei wie ein Stoßseufzer ausgesprochen, als stünde man vor der eigenen Mumifizierung. Das SO fällt tonmäßig noch weiter ab, soll offensichtlich Interesse zeigen und vermittelt die Anteilnahme eines Pfarrers bei einem Begräbnis. Als ob es einem nur noch so oder so, aber nicht mehr gut, ausgezeichnet, wunderbar oder beschissen gehen könnte!

Der letzte Zustand passt am ehesten, denn tatsächlich: Es geht mir gar nicht gut. Ich hatte zwar schon lange Knieschmerzen, aber sie nehmen mit erstaunlichem Tempo zu. Und erst die Wetterfühligkeit! Früher benötigte ich die Wettervorschau, heute muss ich bloß überlegen, welche Sehne wo und wann schmerzt, und ich habe die Sieben-Tage-Vorschau mit eindeutig höherer Sicherheit als alle Wetterdienste zusammen.

Überhaupt das Wetter! Oder die Krankheiten. Die Wirtschaftskrise. Die Gewaltbereitschaft junger Menschen. Wir Senioren reden nämlich über alles Mögliche miteinander. Meistens nebeneinander, weil das Nahen des 60. Geburtstags oft einen Gehörsturz, mindestens aber Schwerhörigkeit auslöst. Eine Defensivreaktion des Gehirns auf das Übermaß an Unsinn, den es über die Jahrzehnte anhören musste.

Geschlechtsunterschiede bei der Themenwahl gibt es übrigens kaum, gendern ist überflüssig. Höchstens beklagt man unter Männern zusätzlich die Dauer, die man am Pissoir verbringt. Früher trat man kurz aus, heute verbringt man eine stille Open-End-Andacht vor unansehnlichen Keramikschüsseln. Ansonsten haben sich die Geschlechter so perfekt angenähert, dass Alice Schwarzer in dieser Altersgruppe als Feministin nicht mehr arbeiten kann und deshalb zu BILD wechselte.

Seniorenpreise

Es gibt auch positive Seiten des Alters, zum Beispiel die „Seniorenpreise“. Obwohl ich sie etwas diskriminierend finde. Sie gelten manchmal ab 60 und da kommt es zu der seltsamen Situation, dass ich mich ausweisen muss. Wie ein Jugendlicher beim Einlass in die Disko! Ich bin nämlich ein Jungsenior und sehe mit meinen 60 Jahren aus wie ein 59-jähriger.

Beim ersten Mal verlangte eine hübsche Studentin einen Ausweis von mir. Das ist emotional eine ziemlich verfahren Situation. Soll ich mich geschmeichelt fühlen, weil sie mich jünger einschätzt? Und was habe ich davon, wenn sie amtlich dokumentiert bekommt, dass ich das Seniorenalter erreicht habe? Ich meine, vielleicht habe ich sie sexuell irgendwie angetörnt und plötzlich erfährt sie mein wahres Alter und Schluss ist es mit einem tollen erotischen Abend! Zeige ich ihr meinen Ausweis nicht, hält sie mich für einen kleinen Betrüger und wieder entfällt das Abenteuer mit ihr.

Eine typische Loose-Loose-Situation. Ich entschloss mich zu einem Schwenk Richtung Ironie: „Lassen Sie, mir sind beide Versionen zu teuer.“ Naja, es war kein eleganter Abschluss, aber immerhin blieb ein Rätsel in der lauen Sommerluft zurück.

Mein nächster Versuch, eine Seniorenkarte zu kaufen, blieb von zwischenmenschlichen Regungen frei, ich erstand einen Fahrschein für die Straßenbahn. Dazu muss man bloß mit einem Touch-Screen kommunizieren. Andere Menschen meines Alters können das Wort nicht einmal aussprechen, aber hier kommt mir mein Beruf aus der Aktivzeit zugute, ich unterrichtete früher Medienkunde. Oder hieß der Gegenstand Angewandte Informatik? Egal, es war irgendetwas mit Computern und daher kann ich einen Touch-Screen tadellos von einem Fernsehgerät unterscheiden und ihn auch noch bedienen.

Tatsächlich gab es eine Seniorenkarte, allerdings nur für zwei Fahrten. Als müssten Senioren immer hin- und wieder zurückfahren. Dass sie irgendwo bleiben wollen und niemals mehr zurück wollen, scheint in den Köpfen der Jungbürokraten nicht zu existieren. Zwangsneurotisch, wie es meiner Lehrerpersönlichkeit entspricht, suchte ich nach der Definition von Senior.

Ja, es gibt die Grenze von 60 Jahren, aber ausschließlich für FRAUEN! Männer sind erst ab 65 Jahren Senioren. Ein Skandal! Erstens leben wir Männer ohnehin im Durchschnitt um fünf Jahre kürzer — und dann legen die Verkehrsbetriebe noch fünf Jahre drauf, die wir auf die Vergünstigungen warten müssen.

Meine ALF (allerliebste Frau) steht meiner Idee, die Sache vor die Gleichbehandlungsschlichtungsstelle zu bringen, negativ gegenüber. Recht hat sie! Und im Sinne von Bud Spencer: Scheiß drauf, Alter! Das Leben ist kurz genug. Und wird täglich kürzer.

2 Gedanken zu „Scheiß drauf, Alter!

  1. Kakanien

    Lieber Helmut,
    mach‘ ich! Und freu mich sowieso auf die Zeit, in der ich das machen kann, was ich schon immer gerne gemacht habe: schreiben.
    Liebe Grüße Dir – und wir sehen uns! Vielleicht im Moustache?
    Erich

  2. Helmut Schiestl

    High! Jetzt bin ich aber schon geschockt. Ich hab Dich immer für jünger gehalten, oder zumindest gleich alt wie ich, ich bin siebenundfünfzig. Aber ich kann das schon alles nachvollziehen. Freu mich manchmal aber so richtig, dass ich nicht verheiratet bin wie viele meiner Kollegen. So kann ich noch ohne Probleme z.B. ins Moustache gehen, wie jetzt wieder mal eben, und mich dort unter die Jugend schmeißen, wie in der guten alten Zeit. Und keinem fällt was auf. Die Kellnerin duzt mich so wie eben alle dort. Ich zücke meinen Block und schreibe eine Geschichte auf. Sonst blieb mir wohl nur der Musikantenstadel oder Pilchers ewige Liebesgeschichten. Na ja, trag’s mit Fassung, kann ich da nur sagen. Ãœbrigens: Seniorenkarten bekomme ich bei der IVB oder ÖBB schon länger, einfach weil auf meinen Behindertenausweis der Automat nur Seniorenkarten ausspuckt oder es steht groß „Blind“ drauf. So dass mich der Schaffner im Zug dann gleich fragt, ob ich Hilfe brauche. Was ich dann natürlich großzügig verneinen kann.
    Einen schönen Sommer noch und wie gesagt, keep cool!
    Helli

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