Vom Burn-out zum Bore-out – wir sind so krank!

All-out

Kaum hat sich der Begriff „Burn-out“ im deutschsprachigen Raum so gut durchgesetzt, dass es sogar eigene „Burn-out-Kliniken“ gibt, folgt eine neue Krankheit: „Bore-out“. Die eine beschreibt Überforderung im Beruf, die andere Unterforderung. Gesund ist nur mehr jene Minderheit, die ihre Arbeit mehr oder weniger gut erledigt.

„Burn-out“ klingt international, schließlich transportiert ein englisches Wort ja aus sich heraus schon so etwas wie Bedeutung, man denke nur an diverse „Departments“, die den Stellenwert von ehemals simplen „Abteilungen“ schon enorm gehoben haben.

Seltsamerweise ist der englische Begriff „Burn-out“ auf den deutschsprachigen Raum beschränkt, anderswo existiert keine Krankheit dieses Namens. Im Katalog der Weltgesundheitsorganisation kommt das Wort nur am Rande vor, nämlich beschrieben als „Mangel an Entspannung und Freizeit“. Demzufolge ist mein Vater, der noch jeden Samstag arbeiten musste und abends mitunter Bereitschaftsdienst versah, nicht an einem Herzinfarkt, sondern an „Burn-out“ gestorben. Klingt irgendwie viel freundlicher, vor allem deshalb, weil meines Wissens nach nur wenige Todesfälle mit der Diagnose „Burn-out“ vorkommen.

Dennoch leben die Betreiber von „Burn-out-Kliniken“ gut von ihren Einrichtungen und den Bewohnern sei es gegönnt, dass sie für einige Zeit ruhig gestellt und für den weiteren Einsatz in der Arbeitswelt fit gemacht werden. Also rehabilitiert werden, um es netter auszudrücken. Aber ist das alles sinnvoll?

Und wird es demnächst „Bore-out-Kliniken“ für jene geben, denen im Beruf langweilig ist? Die Zeitschrift Focus bietet bereits einen Test an, in dem sich Betroffene darüber informieren können, ob sie krank sind, mindestens gefährdet. Zehn Fragen wie „Sind Sie während der Arbeit nur mit beruflichen Dingen befasst?“ oder „Haben Sie immer genug zu tun?“ führen zum Ergebnis, mit wie vielen Prozenten man vom „Bore-out-Syndrom“ bedroht ist.

Was tun? Eine einfache Methode wäre ein Tausch der Arbeitsplätze. Alle mit „Burn-out“ wechseln auf die Stühle derer mit „Bore-out“ und umgekehrt. So ist allen geholfen. Wäre eine Möglichkeit, ist aber zu einfach gedacht: Wo blieben da die Arbeitsplätze  in den vorhandenen „Burn-out-Kliniken“ und den zukünftigen „Bore-out-Kliniken“? Solche Ideen sind unvereinbar mit unserer Wirtschaftsideologie. Krank sind immer die einzelnen, niemals ist es das System. Wer diesen Glaubenssatz in Zweifel zieht, kratzt an einem Dogma, das so schlüssig ist wie die Jungfräulichkeit Marias in der katholischen Kirche.

Freilich hat, wie manche í„rzte anführen, die Diagnose „Burn-out“ den Vorteil, dass sie von den Betroffenen lieber angenommen wird als beispielsweise „Depression“. Leider kann „Burn-out“, weil nicht genau definiert, auch eine schlichte Erschöpfung sein.

Das Problem: Die Therapien sind völlig unterschiedlich. Während erschöpfte Menschen sich im Urlaub erholen, reagieren Depressive mit einer Zunahme ihrer Krankheit. Wenn beide Krankheiten in einen Topf — „Burn-out“ —  geworfen werden, ist Heilung, wenn überhaupt, bloß zufällig möglich.

Wenn das so weitergeht, werden wir alle zu Patienten von Rehabilitations-Kliniken. Wer alle physischen Krankheiten wie Rückenbeschwerden, Tumorerkrankungen, Herz- und Kreislaufprobleme, chronische Bronchitis und Schluckauf zu psychischen wie Depressionen, Burn-out und Bore-out addiert, kommt leicht auf 127,35 % der Bevölkerung. Statistischer Unsinn, aber Realität? Gesundheit muss neu definiert werden: Sie ist eine Randerscheinung dieser Gesellschaft.

Kein Wunder, dass die Politik bzw. vor allem die Wirtschaft, große Probleme im Bereich der Produktivität auf uns zukommen sieht. Wie soll Wirtschaftswachstum funktionieren bei so vielen kaputten Menschen? Da braucht man kein Prophet zu sein, um die Vorhersage zu wagen: So kann es nicht weitergehen.

Einziger Trost: Dem „Burn-out“ wie dem „Bore-out“ folgt das „All-out“.

Am Ende sind wir alle tot.

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